Kolonie Zur Sonne

Was sich mir zunehmend als das Projekt der Poesie erschließt und in meinem Schreiben zumindest ansatzweise ständig geschieht, ist die Verwirklichung der poetischen Praxis, ihre Umsetzung in eine Lebensform. Dabei geht es nicht zuletzt auch darum, herauszufinden, was die spezifischen Orientierungen und Verfahrensweisen der Poesie mit denen anderer Lebensformen verbindet. Schließlich ist von vornherein das Leben in seiner Gesamtheit der einzige Gegenstand, bearbeiten wir immer nur dieses mit allen verfügbaren Mitteln. So möchte ich, wenn ich die poetische Praxis hier überhaupt von der lebendigen abhebe, einfach nur sagen: Es wäre verfehlt, zu beklagen, dass unsere Anstrengungen der Wirklichkeit nicht gerecht werden, wir uns ihr bestenfalls annähern können, denn eigentlich betreiben wir die entgegengesetzte Bewegung, die Verlebendigung dieser Wirklichkeit im Gedicht. Indem wir die Sprache wählten, das abstrakteste Medium und »offenbar schlechteste Werkzeug für alles«, wählten wir zugleich den am weitesten entwickelten Hebel; so ist das Gedicht, in seiner Lebensferne, nichts anderes als eben unser Bemühen um dieses Leben: Nur was wir in poetische Praxis umsetzen, kann guten Gewissens als »anthropologisch gemeistert« gelten.

»Das ist lebendige Dichtung, denkt man, hier wird nicht gefiltert, sondern zusammengefügt, werden die einzelnen Elemente dazu gebracht, sich gegenseitig anzustoßen und in Bewegung zu versetzen. So werden sie zu von äußeren Energiequellen unabhängigen, unablässig sich drehenden Gebilden. Sie führen einem das Ungefügte der Welt vor Augen, nicht als eingehegtes, sondern als schillerndes Wort-Kaleidoskop: ›ihre Ausgrabungen dann, Chirurgie / gegen Erinnerung (Pathos, Asbest) / rekonstruierbar ein Bienenhaus, Bienen / ein Zebra komplett, ein Sumpfhuhn / ohne Sumpf, ein Uhu ohne U - / dein Hals, Contessa, vor Brandmauern / eine Haltestelle für dünnen Schnee.‹ Vieles ließe sich noch sagen, doch scheinen diese Gedichte dem kritischen Sprechen immer einen Schritt voraus zu sein, lassen es ganz matt wirken. Nur so viel noch: Es finden sich auch sehr konkrete Verse in diesem Band. Und besonders im Kapitel ›Auratische Flurkunde‹ bekommt der drängende Ton der Popp’schen Lyrik einen immer sehnsuchtsvolleren, utopischeren Einschlag, wirken die Gedichte immer zarter, verletzlicher.« Tobias Lehmkuhl, Süddeutsche Zeitung

»Steffen Popp ... gehört seit seinem Debütband ›Wie Alpen‹ zu den wichtigsten und markantesten Stimmen der neuen deutschsprachigen Lyrik. Sein neuer Band ›Kolonie Zur Sonne‹ bestätigt seinen Rang. Popp versteht sich selbst als ›postavantgardistischer‹ Autor, der die sterilen Selbstreflexionen des Mediums Sprache ebenso meidet wie die wieder verstärkt auftretende Freiluftmalerei sensibler Seelen. Auch hier geht es um Bewusstseinszustände, um Erfahrungen, die aber vom Textverfahren nicht abzuscheiden sind. ... So wie man Musik auch hören - und lieben - kann, ohne ihre kompositorischen Grundlagen zu überblicken, kann man Lyrik lesen, ohne sie mit einem hermeneutischen Universalschlüssel zu ›verstehen‹. In Popps neuem Buch finden sich einige der schönsten Möglichkeiten, in deutscher Sprache dichterische Erfahrungen zu machen.« Richard Kämmerlings, FAZ

»eine höchst anregende und gewichtige Sammlung. ›Die Einzelheiten geben nicht nach / hitzeverzogenes Blau, krepierter Hydrant‹, so beginnt ein längeres Gedicht, ›Fragmente einer Strasse bei Regen‹. Und wie dieses sind viele seiner Gedichte geprägt von raffiniert verschachtelten, verkeilten Bildern, die auch akustische und optische Wahrnehmungen miteinander verschränken. ... Wichtig sind ihm Szenen, Momente, die er weniger zu fixieren als vielmehr zu finden trachtet. Dabei werden sie, mit einem beinahe unmerklichen Dreh, zu einer existenziellen Erfahrung, die in einer anderen als der eben gefundenen Formulierung nicht aufzuheben ist: als Denkprozesse mit und in der Sprache. Diese zeugt Welt und zeigt auf Welt, in immer neuen Anläufen und Konstellationen und jedes Mal wieder auf überraschende Weise.« Martin Zingg, Neue Zürcher Zeitung

»glückssendend, schönheitstriefend, abgefahren« Dieter M. Gräf, Volltext

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